Mitteldeutsche Zeitung
16. Februar 2000
Von Trotha - Auf dem schmalen Grat
Die wunderliche Band aus Halle verwirrt mit provokanten Texten und harten Rhythmen (Von Steffen Könau)
Heinz Rudolf Kunze war angetan. „Das kommt ja so oft nicht vor, dass eine junge Band eines meiner ganz alten Lieder nachspielt“, freute sich der Deutschrocker. Und dann noch so: „Keine Reaktion“, ein vom Piano getragenes Stück aus Kunzes Frühzeit als wortgewaltiger Liedermacher, fand sich bei der halleschen Band Von Trotha umgeschmiedet zu einer weiß glühenden Metal-Hymne.
Von Trotha lassen sich nicht einordnen. Minnesang-Melodien kombiniert die eigensinnige Combo mit Rammstein-Allüren, dröhnenden Stechschrittgitarren verzieren sie durch zweistimmigen Gesang und Anklänge an Folklorestandards.
„Die Welt hat kein Gesetz um weh zu tun.“ (Judas Jendryschik Von Trotha)
Nein, keine Band wie jede andere. In Konzerten posieren die fünf Musiker, die sich unter anderen Don Krawallo, Bordello Vatikano und Lumpi nennen, in Militärmänteln und mit grell geschminkten Gesichtern. Neben verschwitzter Sado-Maso-Lyrik gibt es harten Polit-Stoff zu hören – „feministischen Volkscore“, wie die Kapelle selbst es im Bemühen um größtmögliche Unklarheit nennt. Judas Jendryschik, bei Von Trotha erster Texter und zweiter Sänger, gefällt sich in der Rolle als schräger Provokateur. „1000 Jahre deutsche Werwolfromantik“ wollte er das live bei einer Tournee durch Bosnien-Herzegowina mitgeschnittene dritte Album seiner Band bewusst missverständlich nennen – nach den beiden verwirrenden Vorgängern „Du wundersames Tier“ und „Sexy subversiv und sehr stilvoll“.
Am Ende wurde zwar nur „1000 Jahre deutsche Erotik“ daraus, doch inhaltlich und formal enthält die CD noch immer die gewagteste Musik, die im letzten Jahrzehnt in Halle entstand.
Von Trotha, die sich selbst schon mal trocken den Untertitel „Panzerdivision“ verpassen, rocken mit seltener Kompromisslosigkeit. Anklänge an die Schule der neuen deutschen Härte sind unverkennbar, doch füllt die Truppe von der Saale die musikalische Form mit kontroversen Inhalten.
Ähnlich wie die slowenisch-kroatische Kapelle Laibach, die es zuallererst wagte, die Formensprache der Diktaturen in die Popmusik zu übertragen, um gegen Starkult und Führerprinzipien zu opponieren, versuchen sich Von Trotha an Überhöhung und Persiflage. Die Botschaften, häufig aufwendig versteckt unter wahren Gebirgen aus schreienden Gitarren, kommen stets von hinten und nie als sofort beklatschbare Parole.
Das ist für ein auf Unterhaltung trainiertes Rock-Publikum schwer zu schlucken. Als Von Trotha zur Präsentation ihres neuen Albums im halleschen Studentenclub Turm einen ihrer äußerst raren Auftritte absolvierten, reagierte das Publikum mit Staunen und Verwirrung auf die effekthaschenden Stahlgewitter zwischen Kraftwerk-Bewegungslosigkeit und Metallica-Arroganz, zwischen Konstantin-Wecker-Cover und Maschinensound.
Was soll man halten von einer Band, die Damenbinden als Eintrittskarten verteilt? Die abwechselnd von Kastrationsängsten, Bombenangriffen und „paranoisch-kritischen Entdunkelungen“ singt? Eine Streicheleinheit am Stacheldraht, die in keine Schublade passt.
Judas Jendryschik aber, ein Typ mit Kinnbart und mongolischem Zopf auf der Glatze, scheint sich in der Rolle des kratzbürstigen Pop-Philosophen zu gefallen. Unbeeindruckt von den stirnrunzelnden Reaktionen spult der querköpfige Von-Trotha-Vordenker sein Pensum ab: Pathetisch, peinlich und packend zugleich.
Es ist ein schmaler Grat, auf dem Von Trotha mit „Heil Fischer“ -Rufen und „Freiheit für China“ -Parolen tanzen, angeseilt nur durch drastische Reimen mit sexueller Konnotation und den unverkennbaren Konzeptwillen von Klang über Körpersprache bis hin zum Artwork der Von-Trotha-Alben. Nur vor einem Vorwurf sind Sachsen-Anhalts einzige echte Extrem-Rocker wirklich sicher: Dem, langweilig zu sein.