Ballettanz 07/2002

Ralf Rossa ...und Mr. Hyde am Opernhaus Halle (von Klaus Geitel)

Ralf Rossa, Ballettdirektor des Opernhauses in Halle/ Saale, ist ein choreographierendes Raubtier. Jetzt ist er, ein anderer Mr. Hyde, über den verhältnismäßigen Doktor Jekyll hergefallen und hat ihn mit lautstarker Live- Unterstützung der Rockband Pixelpack von Trotha massakriert und unter anhaltendem Beifall beerdigt.

Rossas Rock-Ballett nach Stevensons berühmter Erzählung von den zwei Seelen, ach, in einer gemeinsamen Brust, anderthalb Stunden lang, pausenlos, und nicht nur die fleißige Truppe erschöpfend, ist ein Ding wie aus einer anderen Tanzwelt. „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ nehmen auf abenteuerlich regsamer Bühne (von Matthias Hönig und Torsten Paetzold) alle bekannten Erzählmethoden des Tanzes in den Würgegriff.

Der Einstieg ist rundum genial. Wie auf einer Stummfilm-Leinwand schweben die Schatten des blutigen Geschehens auf, kreiseln zwischen schön ornamentierten Filmtiteln dahin, und die Musik spielt dazu: Filmmusik von Wolfgang Erich Korngold, der freilich die Musik zu einem „Dr. Jekyll“ -Streifen gar nicht geschrieben hat.

Macht nichts: Die Musik passt haargenau auf diesen altväterlich, wie von Stevenson persönlich choreografierten Anfang: Ballettklassik durch die vorsätzlich ungeputzte Brille der Herkömmlichkeit gesehen. Sie reimt fleißig Herz auf Schmerz, und der Schmerzen sind viele. Zum ersten Mal lernt man den famosen Hauptdarsteller Michael Sedlacek (ist er noch der experimentiertüchtige Dr. Jekyll oder schon der blutrünstige Mr. Hyde?) nackt und bloß, bis auf den Slip entkleidet, kennen. Was für andere Tänzer die beliebten Sprungserien sein mögen, ist für Sedlacek das Hoseaufknöpfen: eine wahre Manie.

Was Rossa auf den Spuren von Stevenson nachweisen will, ist die automatisch wachsende Dominanz des Bösen in der menschlichen, sprich: männlichen Seele. Jekyll kann Hyde nicht auf Dauer unter Kontrolle haben. Er sieht sich vom immer übler hervordrängenden Bösen zu Boden gedrückt, entmündigt, versklavt. Hollywood hat das in den letzten Jahren immer deutlicher werden lassen, und Rossa hat sich in „American Psycho“ hineingewühlt, vom „Fight Club“ anwerben lassen. Selbst auf Altmeister Hitchcocks „Psycho“ und die unvergessliche, blutumspritzte Mordszene unter der Dusche wird liebe- und andachtsvoll, allerdings mit einem gewissen Grinsen, zurückgegriffen.

Rossas Rock-Ballett ist ein Pflichtstück für jede großstädtische Cinèmateque. Sie ist gefüttert mit atemberaubenden Tanzsequenzen der Staunen erregenden Herumraserei. Die glänzend agierende Truppe, das Ballett Rossa, wie sie sich nennt, ist mit Leidenschaft bei der finsteren Sache, und Pixelpack von Trotha, Halles vierköpfige Lieblingsband, macht ihr Beine. Sie stürzt sich Raubkatzen gleich Hals über Kopf ins Abenteuer. Prompt singen die Pixelpacker alle Strophen von Rainer Maria Rilkes „Der Panther“. In sonderbarerer Gesellschaft hat sich Rilke bislang noch nicht bewegt.

Samuel Colombet ist, kraftvoll und geschmeidig, Jekyll und Hydes Gegenspieler, der ebenso daran glauben muss wie die Damen Irina Lavyguina und Antje Fèher, die alle ein bisschen selbst Schuld daran sind. Man lernt. Das Böse in den Männern wird immer erneut, wie beiläufig, von den Frauen losgekitzelt.

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