mz-web.de April 2010

Brachiale Botschaften aus dem Blitzkrieghandy-Kindergarten

Die Uraufführung musste ausfallen. Per Jendryschik, hauptberuflich hallescher Buchhändler und nebenher Kopf und Sänger der Band Von Trotha, hatte dem großen Theater Angst gemacht, das zur Premiere geladen hatte. "Blitzkrieghandykindergarten", das Solo-Debüt des provokanten Liederschmieds, sei missverständlich und könne leicht auch von den Falschen bejubelt werden, stand in der Kritik eines Stadtmagazins. "Ein falsches Zitat dazu", erinnert sich Jendryschik, "und schon war ich auf Eis gelegt."

Damals habe er überlegt, ob er die Musik nicht ganz sein lassen solle. "Aber ich bin ja Überzeugungstäter, ich mache das, weil ich es machen muss", sagt er heute, "und weil ich glaube, dass die Welt das braucht". Während der Rest der regionalen Rockszene sich traditionell darin gefällt, die Hits großer Altstars zu spielen oder je nach Modetrend Grunge und Britpop in eigenen Kompositionen nachzustellen, gingen die unter dem Label Von Trotha veröffentlichten Werke von Anfang an eigene Wege. Jendryschik textete auf Alben wie "1000 Jahre deutsche Erotik" oder "Harte Männer tanzen nicht" deutsch und deutlich, seine Band musizierte mit dem Druck einer Dampframme, aber ohne die komödiantische Eindeutigkeit von Gruppen wie Rammstein oder Oomph!. Auch das erste Solo-Album des MDR-Literaturpreisträgers Jendryschik ist nur oberflächlich gehört eine Sammlung von athletischem Schwermut-Metal mit "Beats und Bizeps", wie es der Sohn des Schriftsteller Manfred Jendryschik selbst beschreibt. Im Stil der slowenisch-kroatischen Kapelle Laibach scheut Per Jendryschik wohlfeile Eindeutigkeit, wenn er sein Publikum mit Doppelsinn zum Selberdenken bringen kann. Keine billigen Botschaften im "Blitzkrieghandy-Kindergarten", der sich selbst auf dem Albumcover das selbstironische Gütesiegel "Dunkeldeutschland rockt" verpasst.

Und wie. Produziert von Altmeister Sieghart Schubert (Schubert-Band), werden aus Industrial-Stücken wie "Ostdeutschland beim Daumendrehen" Ohrwürmer, zu deren bedrückenden Befunden sich wunderbar mit dem Fuß wippen lässt. Per Jendryschik singt mit Grabesstimme, die Gitarren von Pola X marschieren, jedes Lachen bleibt im Halse stecken, etwa bei der herzbeklemmenden Ballade "Eine Chance in Orange", die sich an verschiedenen 9. Novembern der deutschen Geschichte in den reim steigert: "Es ist Dienstag, der 10., die Pogromnacht ist vorbei / auf mit Fahnen und Fackeln / in die nächste Barbarei".

Manches klingt hier nach den Einstürzende Neubauten, manches nach den Goldenen Zitronen, es wimmelt nicht nur in den Zwischentexten von Anspielungen, Zitaten und Klassikerstimmen. "Aber im Unterschied zu den Neubauten muss man nicht erst Kafka gelesen haben, um zu verstehen, was gemeint ist", glaubt Per Jendryschik. Kurz vor der verspäteten Bühnenpremiere des Blitzkriegkindergartens arbeitet er schon am Nachfolgewerk, das noch von den Erlebnissen während einer Von-Trotha-Tournee durch Bosnien-Herzegowina kurz nach dem Jugoslawien-Krieg inspiriert sein wird. Geld verdienen lasse sich damit sowenig wie die Hitparade erobern, das ist dem 41-Jährigen klar. "Aber bestimmte Dinge möchte ich eben einfach gesagt haben."

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